Schon seit H.G. Wells beherrscht die Idee der Verschmelzung elektronischer Maschinen mit dem menschlichen Gehirn die Science Fiction Literatur. Die Väter von William Gibsons Visionen kommen jedoch aus dem 20. Jahrhundert. Arthur C. Clarke, Philip K. Dick, J.G. Ballard, Stanislaw Lem zählen ebenso zu seinem Hintergrund wie Thomas Pynchon, J.L. Borges oder W.S. Burroughs. Gibson gelang, was nur wenigen seiner Kollegen glückte. Er übertrug den romantischen Impuls der sechziger und siebziger Jahre in die Eiseskälte des angebrochen Computerzeitalters. 1984 erschien Neuromancer, der erste Teil seiner Trilogie, die sich über Nacht anschickte zum Nachschlagewerk einer neuen Science Fiction-Epoche zu avancieren. Der Roman wurde fortan mit den bedeutendsten SF-Preisen übertschüttet, die Kritik überschlug sich mit Analysen und Lobpreisungen. William Gibsons neuromantischer Aufbruch ins dritte Jahrtausend hatte begonnen, die Bewegung der Cyperpunks war geboren. Gibsons Prosa ist pure Gegenkultur, sie ist die Chronologie vom Niedergang des Computerzeitalters. Neuromancer zeigt uns eine Welt der elektronischen Apokalypse roboterhaft, erbarmungslos, sterblich. Gibsons Dialoge sind erbrochene Statements aus dem Solarzeitalter, die Kulisse seiner neuen Welt sind Bruchstücke einer verlassenen High-tech-Hölle am Anfang des 21. Jahrhunderts. Gibsons Protagonisten sind einsame, anarchistische Computerhacker, geklonte Chipcowboys, die Datenbanken knacken und mit den Informationen die internationalen Software-Märkte beliefern. Sie schmuggeln, morden und überleben im Zwielicht gewaltiger Elektronikmultis. Ihre Körper sind mit biotechnischen Implantaten bestückt, ihre‚Ängste und Träume bestehen aus Hirntodphantasien, Explosionen und bewußtseinserweiternden Syllogismen der Grausamkeit. Der freie Markt in Gibsons Chromhölle bietet alles an Schrecken und Ernüchterung, woran in den Laboren der heutigen Wissenschaft enthusiastisch gearbeitet wird; gentechnische Ersatzteile, Augen, Geschlechtsteile, den Biochip-Nachwuchs. In Gibsons Technosphäre ist der Himmel nur noch eine graue Scheibe, und auch im zweiten Teil der Trilogie, Biochips, ändert sich daran wenig.Erneut sind die Handelnden professionelle Technopunks mit verspiegelten Sonnenbrillen, stets unterwegs im kybernetischen Raum ihres Computeruniversums. Gibson benutzt nach eigener Aussage den Computer nur als Metapher für das menschliche Gedächtnis. Jede seiner Gestalten spiegelt die Melancholie einer gestrandeten Welt. Die Dunkelheit seines multimedialen Hochsicherheitstraktes Erde, der Cyberspace, ist kein erbaulicher Ort. Im letzten Teil, Mona Lisa Overdrive, gibt uns Gibson einen Einblick in die Welt der nahen Zukunft. Hier regieren die Multis mit ihren Killerkommandos, Informationskriege beherrschen die Medien, dazwischen der Sud dunkler Ballungsgebiete. Fernab bewahrt sich Gibson die Hoffnung, das wir überleben werden. Der Psychologe Timothy Leary nannte Gibsons Trilogie das Neue Testament des 21. Jahrhundert. Das ist übertrieben, aber Lust das Weltall in Brand zu stecken hat der Autor schon.(f.)